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Gute Gefühle fördern die Leistung von Schülern

Wie kann man die Freude am Lernen erhalten? Psychologe Prof. Dr. Reinhard Pekrun von der Ludwig-Maximilians-Universität München erläutert den Zusammenhang von Emotionen und Lernerfolg.

Erstklässler starten ihre Schullaufbahn meist voller Freude. Warum hält das nicht bei allen an?
Pekrun:
 Die meisten Kinder gehen mit Begeisterung in die erste Klasse. Bis zu 90 Prozent aller Schulanfänger sind so optimistisch zu glauben, der oder die Beste in ihrer Klasse zu sein. Dann setzen zwei Prozesse ein. Zum einen wird die Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten realistischer, weil man sich in einem sozialen Kontext befindet und der Tatsache nicht ausweichen kann, dass andere vielleicht doch noch etwas mehr leisten können. Zum anderen erleben viele Schüler im weiteren Verlauf der Grundschulzeit mit ungünstigen Bewertungen in Form von schlechten Noten Rückmeldungen, die sie nur als fortwährende Misserfolge interpretieren können. Wie unsere Studien zeigen, führt dies bei vielen Schülern dazu, dass über die Schulzeit hinweg die Lernfreude abnimmt, während die Angst in der Schule, insbesondere die Angst vor Prüfungen, zunimmt. Gleichzeitig fangen viele Schüler dann auch an, sich im Unterricht zu langweilen. Zum Teil ist das ja ein ganz natürlicher Prozess, wenn die anfängliche Begeisterung etwas schwindet, aber zum Teil dürfte diese Entwicklung auch hausgemacht sein durch die Art und Weise, wie wir unser Bildungssystem organisieren und Prüfungen gestalten.

Was läuft denn falsch bei den Prüfungen?
Eine Prüfung ist zunächst eine Erhebung zum Lernstand der Schüler. Diese Informationen benötigen Lehrkräfte, um gezielt unterrichten zu können. Auch für den Lernenden selbst ist es wichtig zu wissen, wo er steht und welche Defizite er noch hat. Die Frage ist aber, welche Maßstäbe man verwendet, um Lernleistungen zu bewerten. Man kann darauf schauen, in welchem Umfang jemand das Lernziel erreicht hat (kriteriumsorientierte Bewertung), oder beurteilen, wie sehr er sich über einen bestimmten Zeitraum verbessert hat und ob der Lernfortschritt den kognitiven Fähigkeiten entspricht (personenorientierte Bewertung). Es gibt aber auch die sozialvergleichende Bewertung, bei der die Frage nicht ist: Wie gut hat der Schüler oder die Schülerin das Lernziel erreicht?, sondern: Wie gut ist er oder sie im Vergleich zu anderen? Leistungsbewertungen werden bei uns häufig so vorgenommen, dass sie im Ergebnis dieser sozialvergleichenden Bewertungsform entsprechen. Der Bezugsmaßstab ist dabei im Regelfall die Klasse. Jeder kennt dies: Wer in seiner Klasse gut ist, bekommt eine Eins oder eine Zwei, wer zu den Schlechtesten zählt, eine Fünf oder Sechs. Eine solche sozialvergleichende Bewertung produziert unweigerlich nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Auch wissen wir aus der Forschung, dass sich Schulklassen deutlich in ihrem Leistungsniveau unterscheiden können. Eine Eins in der einen Klasse könnte eine Drei in einer anderen Klasse sein, und umgekehrt. Wenn man eine Bewertung im Klassenmaßstab als Grundlage für Schulnoten nimmt, sind diese Noten nicht vergleichbar mit den Noten von Schülern in anderen Klassen, Schulen, Regionen oder gar Bundesländern.

Und welche emotionalen Folgen hat das?
Für die Gewinner, die gute Noten erhalten, ist das in der Regel emotional günstig. Aber der Preis ist hoch, weil es mit der Verwendung eines solchen Maßstabs eben auch Verlierer gibt, die mit der Note Fünf nach Hause gehen. Wenn sich solche Misserfolge über die Zeit hinweg häufen, sinkt der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Das kann zu Angst vor Misserfolg, Scham über das eigene Versagen und schließlich zu Hoffnungslosigkeit und Resignation führen. Diese negativen emotionalen Folgen sind umso intensiver, je bedeutsamer die Konsequenzen sind, die an schulische Noten geknüpft werden, in unserem Bildungswesen sind das zum Beispiel Entscheidungen über den Übergang von der vierten Klasse in die weiterführende Schule oder später der Zugang zu bestimmten Studiengängen und beruflichen Möglichkeiten.

Und was passiert, wenn die Gewinner aus der Volksschule aufs Gymnasium kommen?
Da setzt der sogenannte „Big-Fish-Little-Pond“-Effekt ein: In dem Moment, in dem ich in eine leistungsstärkere Gruppe wechsle, gehöre ich nicht mehr automatisch zu den Besten, also den größten „Fischen im Teich“. Es kann sein, dass ich jetzt selber zu den leistungsschwächeren Schülern in meiner Klasse zähle. Wenn dies der Fall ist, kann mein Selbstvertrauen sinken, in der Folge macht das Lernen weniger Spaß, und meine Angst vor Misserfolg steigt. Umgekehrt kann mein Selbstvertrauen steigen, und ich kann wieder Interesse am Lernen gewinnen, wenn ich in eine leistungsschwächere Gruppe wechsle. Der Grund liegt auf der Hand: In einer leistungsstarken Gruppe sind die relativen Erfolgschancen jedes Einzelnen geringer. Nach dem Übergang aufs Gymnasium bricht daher bei einem erheblichen Teil der Gymnasiasten das Selbstvertrauen ein. Auf einmal sind sie mit anderen Leistungsstarken konfrontiert und bekommen ungünstige Bewertungen, während sie vorher nur Bestnoten kannten. Viele Gymnasiasten erleben nun Prüfungsangst, während umgekehrt viele Hauptschüler mit dem Übergang in die weiterführende Schule eher emotionale Gewinne erleben. Nach dem Übergang sind die Unterschiede in den lernrelevanten Emotionen von Gymnasiasten und Hauptschülern deshalb insgesamt eher gering, anders als zuvor in der Grundschule. Häufig geht es den Hauptschülern im Durchschnitt emotional sogar etwas besser als den Gymnasiasten. Ähnliche Prozesse greifen vermutlich auch nach dem Übergang ins Studium.

Werden die Kinder bei uns systematisch frustriert?
Nicht alle. Diejenigen, die gute Noten erhalten, sind häufig weiter mit Begeisterung bei der Sache. Aber ein erheblicher Prozentsatz verliert im Laufe der Schulzeit die Freude am Lernen. Das ist allerdings die Entwicklung im Durchschnitt der Schüler, es gibt hier große Unterschiede im Entwicklungsverlauf. Ein Grund für diese Unterschiede ist, dass sich ein anfängliches Interesse an vielen Lerngegenständen im Laufe der Entwicklung differenzieren kann, so dass ein Schüler sich dann zum Beispiel weiter für Sprache und Literatur begeistert, aber kaum noch für Mathematik und Naturwissenschaften oder umgekehrt. Das ist ein natürlicher Prozess im Laufe der Identitätsentwicklung in der Jugend. Man sollte nicht zu pessimistisch sein: Wir haben viele Untersuchungen mit Schülern und Studierenden durchgeführt, und die zeigen: Insgesamt werden positive und negative Leistungsemotionen etwa gleich häufig berichtet.

Wie wichtig ist denn überhaupt der Spaß am Lernen?
Viele gehen davon aus, dass gute Stimmung gut ist fürs Lernen und schlechte Stimmung die Leistung reduziert, aber so einfach ist das nicht. Es gibt angenehme Emotionen, die Lernleistungen fördern können – Begeisterung für eine Aufgabe, Stolz, Hoffnung auf ein gutes Ergebnis – und andere, die eher ambivalent wirken. Etwa, wenn man erleichtert, entspannt oder einfach nur gut gelaunt ist. Die Forschung zeigt, dass gute Stimmung zu unrealistischem Optimismus und einem Sinken der Anstrengungsbereitschaft führen kann. Umgekehrt müssen negative Emotionen nicht immer schädlich für die Leistung sein. Aktivierende negative Emotionen wie Angst, Scham oder Ärger wirken sich zwar meist negativ aus, können im Einzelfall aber auch die Anstrengungsbereitschaft erhöhen. So kann Angst vor Misserfolg in einer Prüfung einen dazu zwingen, sich intensiv vorzubereiten. Desaktivierende Emotionen wie Langeweile oder Hoffnungslosigkeit aber sind so gut wie immer abträglich für die Lernleistung.

Und wie wirken sich diese Gefühle beim Lernen aus?
Emotionen beeinflussen das Arbeitsgedächtnis und damit unsere Aufmerksamkeit, und sie steuern unsere Motivation. Sie wirken aber auch auf die kognitiven Prozesse, die dazu führen, dass Lerninhalte ins Gedächtnis überführt werden, und auf die Art und Weise, wie wir unser Lernen steuern: Nehmen wir es selbst in die Hand, setzen wir uns eigene Ziele und überlegen selbst, wie wir vorgehen, oder überlassen wir dies den Lehrkräften und unseren Eltern? Positive aktivierende Emotionen wie Begeisterung und Lernfreude helfen beim Lernen. Wer Spaß am Lernen hat, kann sich gut konzentrieren, ist motiviert, kann kreativ mit Aufgaben umgehen und macht es seinem Gedächtnis leichter, komplexe Informationen aufzunehmen und gut zu vernetzen. Angst und Ärger hingegen reduzieren die Aufmerksamkeit und das Interesse am Lerngegenstand. Wer sich darüber Sorgen macht, eine wichtige Prüfung nicht zu bestehen, kann sich nicht wirklich gut konzentrieren. Angst kann auch dazu führen, die Auseinandersetzung mit einem Prüfungsstoff zu meiden oder gar nicht erst zur Prüfung anzutreten. Wie vorhin bemerkt, kann Angst auf der anderen Seite aber auch dazu motivieren, sich anzustrengen, um Misserfolg zu vermeiden. Und Angst kann sogar dazu führen, dass bestimmte Formen des Lernens, bei denen es darauf ankommt, sich auf einzelne Details zu konzentrieren, wie etwa beim Vokabellernen, besser funktionieren. In der Summe ist es aber meist so, dass Angst zu Vermeidung führt und die Lernleistungen reduziert. Starke Prüfungsangst kann geradezu toxisch wirken, bis hin zu Schulverweigerung und Studienabbruch.

Was hilft noch, die Freude am Lernen zu behalten?
Wenn Lehrkräfte und Professoren selbst begeistert sind, kann sich das auf ihre Schüler und Studierenden übertragen: Emotionen sind ansteckend. Das gilt übrigens für alle Emotionen, die eine Lehrkraft im Unterricht zeigt – für positive Emotionen wie Stolz auf Schülerleistungen oder Hoffnung, dass das Klassenklima sich verbessert, aber auch für negative Emotionen wie Ärger, Angst, oder Langeweile. Hinzu kommt die kognitive Qualität des Unterrichts: Ist der Lernstoff gut strukturiert, gibt es klare, verständliche Beispiele? Ist der Schwierigkeitsgrad den Kompetenzen der Lernenden angepasst? In unserer Forschung konnten wir zeigen, dass auch eine dosierte Inkongruenz und Informationen, die im Widerspruch zu Vorannahmen der Lernenden stehen, hilfreich sein können: Widersprüchliche Informationen können zunächst zu Verwirrung führen, diese aber kann das Nachdenken anregen. Außerdem kann es förderlich sein, Lernprozesse so zu gestalten, dass Bedürfnissen nach Selbstbestimmung Rechnung getragen wird, also zum Beispiel dem Lernenden Freiräume zu gewähren, Anforderungen und Aufgaben auch einmal selber zu definieren.

Kann ich auch selbst etwas dafür tun, dass mir der Lernspaß nicht abhanden kommt?
Gerade im Studium, aber auch schon während der Schulzeit macht es Sinn, sein Lernen zu planen und nicht beliebig vorzugehen. Es ist hilfreich, Lernmaterialien so zu organisieren, dass man nicht die Übersicht verliert. Es ist auch sinnvoll, gezielt nach Materialien zu suchen, die eine dosierte Herausforderung bieten, die also nicht zu leicht oder zu schwierig sind. Interesse und Motivation kann man stärken, indem man Material verwendet, das an die eigenen Interessen anknüpft, und indem man sich die Bedeutung des Lernens klar macht. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass es Motivation und Lernfreude erhöhen kann, Essays zur Bedeutung des Lernstoffs für die eigene Zukunft zu schreiben. Dabei ist es hilfreich, die intrinsische Motivation, also das Interesse am Stoff und am eigenen Lernfortschritt, im Blick zu behalten und sich weniger auf die kompetitiven Aspekte von Leistung zu konzentrieren. Sich mit anderen zu vergleichen, lenkt ab und kann zu Ängsten beitragen, im Wettbewerb zu versagen. Ferner macht es in der Regel mehr Spaß, wenn Lernen an soziale Interaktion geknüpft ist. Wenn man in der Gruppe lernen möchte, tut man gut daran, dies rechtzeitig zu organisieren und nicht erst kurz vor einer Prüfung. Entscheidend ist schließlich auch, die eigenen Ziele nicht zu hoch anzusetzen. Zu hohe Erwartungen, die sich nicht erfüllen lassen, können zu Angst vor Misserfolg beitragen und die Freude am Lernen trüben. Vernünftiger ist es, sich Ziele zu setzen, die tatsächlich auch erreichbar sind.

Foto: Shutterstock

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