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Die kostenfreie Zahnregulierung - gibt es einen Haken?

Ursula ist verzweifelt. Ihr kleiner Sohn Florian (6) hat eine deutlich sichtbare Zahnfehlstellung – höchste Zeit, etwas dagegen zu tun, um spätere Probleme des Kauapparates ausschließen zu können. Der Zahnarzt meinte, es handle sich um einen Kreuzbiss, viele junge Menschen seien davon betroffen. Diese Fehlstellung – so sein Rat – sollte am besten noch in der Wachstumsphase behandelt werden. Helfen könne nur eine Zahnregulierung. Doch die ist teuer und nicht für jede Familie leistbar. Mama Ursula ist Alleinerzieherin und muss auf jeden Cent achten. Da kommt die im Juli 2015 in Österreich eingeführte Gratis-Zahnspange doch genau richtig, oder? Das würde man zumindest glauben, wenn man nicht des besseren belehrt worden wäre. Die Gratis-Zahnspange ist eine Kieferregulierung für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre. In Österreich wurden seit der Einführung ungefähr 25.400 Anträge gestellt, in Wien wurden davon nur zwei bis drei Prozent bewilligt. Das sind im Verhältnis zu rund 30.000 Kindern und Jugendlichen, welche von einer schweren kieferorthopädischen Fehlentwicklung oder einer Fehlstellung betroffen sind, relativ wenige.

Medizinische Notwendigkeit

Die Einteilung der Zahnfehlstellungen erfolgt nach dem sogenannten IOTN. Dieses System gliedert sich in 5 Stufen. Während die Stufen 1-2 lediglich kosmetische Eingriffe umfassen, werden bei den Stufen 4-5 Behandlungen als medizinisch notwendig angesehen. Diese Patienten erfüllen somit die Voraussetzungen für die Gratis-Zahnspange. Fälle der Stufe 3 sind meist kritisch, da eine Therapie empfohlen, diese jedoch nicht finanziert wird. Interessanterweise kommen Kategorie 4 und 5, welche von schweren Fehlstellungen bis hin zu Kiefermissbildungen reichen, nur in relativ wenigen Fällen vor, so Claudius Ratschew von der Wiener Zahnärztekammer. Das heißt also: Nur die wenigsten haben Anspruch auf eine kostenlose Behandlung.

Kritik über die Einstufung

Ein Jahr nach der Einführung wurde eine Umfrage unter den Mitgliedern des Verbandes der Österreichischen Kieferorthopäden durchgeführt. Nur 38 Prozent gaben an, dass die Einstufung mittels des IOTN reibungslos funktioniert, denn grundlegende Details werden dabei nämlich nicht beachtet. Hat ein Kind oder Jugendlicher zwar schiefe und in alle möglichen Richtungen stehende Zähne, aber diese stehen an der richtigen Stelle, dann besteht kein Anspruch auf die Gratis-Zahnspange. Wenn ein Patient gewisse Anforderungen, die ihm vom Zahnarzt oder der Zahnärztin aufgetragen werden, wie zum Beispiel gründliches Zähneputzen oder tragen einer abnehmbaren Zahnspange, missachtet, so werden die Kosten ebenfalls nicht übernommen. Im Fall des kleinen Florian heißt das im Klartext: Trägt er die abnehmbare Zahnspange, die als Vorbeugung für eine weitere kostenintensive Behandlung dienen soll, nicht, dann wird die Krankenkassa die Kosten nicht übernehmen. Wie jedoch jede Mutter weiß, oder sich zumindest vorstellen kann, wird nicht jedes Kind in diesem Alter eine solche Prozedur über sich ergehen lassen. Somit gehen diese Patienten leer aus und müssen sich die Behandlung selbst finanzieren. Da das aber für die meisten Familien ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich ist, verzichten sie auf die notwendige Zahnkorrektur, und das zum Leid des Kindes.

Welche Kosten werden übernommen?

Die klassischen Metall-Brackets (festsitzende Zahnspange) mit Gummizügen werden bei Erfüllung der Voraussetzungen bezahlt. Weiße Brackets oder innenliegende Brackets werden nicht übernommen. Treten bei kleinen Kindern, wie im Fall von Max, frühzeitige Fehlstellungen wie eben der Kreuzbiss auf, so wird mit einer abnehmbaren Zahnspange versucht, diese zu korrigieren. Die Kosten der Behandlung werden übernommen, wenn die Patienten die Vereinbarungen einhalten und die abnehmbare Zahnspange regelmäßig tragen.

Zu wenig Ärzte

Eine Gratis-Zahnspange wird nur bei einer behandelnden Zahnärztin / einem behandelnden Zahnarzt welche/r ein Vertragspartner/eine Vertragspartnerin für Kieferorthopädie ist, durchgeführt. Wer alle Voraussetzungen für die Gratis-Zahnspange erfüllt, die Korrektur jedoch nicht bei einem Vertrags-Kieferorthopäden vornehmen möchte, muss mit zusätzlichen Kosten rechnen. Bei einem Kieferorthopäden ohne Kassenvertrag übernimmt die GKK die Kostenerstattung in Höhe von 80 Prozent des vertraglich festgelegten Tarifs. Der Restbetrag muss aus eigener Tasche übernommen werden.

Die Gratis-Zahnspange wird selbst von Kieferorthopäden als kritisch angesehen, da diese nur in den wenigsten Fällen wirklich gratis ist. Für Florian kann man nur hoffen, dass er die abnehmbare Zahnspange fleißig trägt, um seinen Eltern den enormen finanziellen Aufwand zu ersparen.



Foto: Shutterstock/George Rudy