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So prägt die Kindheit unser späteres Leben

Selbstkritik und Strenge, bis hin zu psychischen Leiden, basieren nicht selten auf veralteten Glaubenssätzen, die wir uns aufgrund von schmerzhaften Erfahrungen in der Kindheit angeeignet haben. Um diese alten Wunden heilen zu können, bedarf es eines empathischen und wertschätzenden Umgangs mit uns selbst, so der Wiener Psychologe und Psychotherapeut Mag. Saam Faradji. Ein BabyExpress-Interview.

Sind Prägungen aus der Kindheit, die zu psychischen Problemen führen, behandelbar – und wenn ja wie? 

Erfahrungen die uns prägen, führen zur Entstehung von Glaubenssätzen. Die Orientierung an diesen veralteten Glaubenssätzen führt wiederum dazu, dass wir uns als Erwachsene mit Lebenssituationen emotional überfordert fühlen und diese häufig nicht bewältigen können. Das verursacht nicht nur Einschränkungen im Alltag, sondern ist zumeist auch Ursache diverser Symptome. Indem wir veraltete Glaubenssätze, die keinen Nutzen mehr für uns haben erkennen und unsere Handlungen nicht mehr an ihnen orientieren, können wir uns in eine Richtung zu bewegen, die zu unserem Wohlergehen beiträgt.   

Was kann man tun, um mit sich selbst zufriedener zu werden?

Indem wir mit uns selbst einen wohlwollenden und wertschätzenden Umgang üben, der nicht an Bedingungen geknüpft ist. Anstatt zu versuchen, Veränderungen in unserem Leben mit einer kritischen Haltung uns selbst gegenüber herbeizuführen oder den eigenen Wert von Leistung abhängig zu machen, können wir beginnen, uns mit mehr Empathie zu begegnen. Unsere Schritte mögen von außen betrachtet weiterhin die gleichen sein, der Unterschied liegt in der empathischen Haltung, mit der wir diese Schritte setzen. Zufriedenheit entsteht somit nicht voranging durch das Erreichen von externen Zielen, sondern durch die Art der Beziehung, die wir zu uns selbst gestalten. 

Ist eine bewusste Selbstwahrnehmung jedem Menschen möglich oder sorgen übernommene Rollenbilder und Vorstellungen für Verzerrungen? 

Unsere Selbstwahrnehmung ist sehr geprägt durch die Rollenbilder, durch die wir uns identifizieren und definieren. Indem wir jedoch lernen zu erkennen, wo uns bestimmte Rollenbilder und die damit verbundenen Glaubenssätze im Leben einschränken, sind wir in der Lage - auch wenn es anfänglich schwer erscheint - unsere Handlungen an jenen Gedanken zu orientieren, die für uns förderlich sind. Bei diesem Lernprozess können psychologische Ratgeber, Selbsterfahrungsgruppen und Psychotherapie unterstützend wirken. 

Mit welchen „veralteten Glaubenssätzen“ werden Sie besonders häufig konfrontiert?

Ich begegne sehr häufig dem Glaubenssatz „Ich bin nicht liebenswert.“. Viele Menschen betrachten ihre Verletzlichkeit bedingt durch veraltete Glaubenssätze als „Schwäche“, wodurch es in vielen Lebenssituationen nicht möglich ist, sich als liebenswerter Menschen wahrzunehmen.

Auf welche „Techniken“ greifen Sie zurück, wenn Sie Gedanken und Emotionen in Einklang bringen möchten?

Der Fokus meiner Therapiesitzungen liegt darauf, meine KlientInnen zu unterstützen sich auf neue und für sie heilsame Erfahrungen einzulassen. Denn diese Erfahrungen führen dazu, dass veraltete Glaubenssätze zunehmend an Gültigkeit verlieren. Auch wenn Techniken durchaus ihre Bedeutung haben, so ist es meiner Meinung nach die empathische und wohlwollende Haltung in der Therapie, die es KlientInnen ermöglicht die Bereitschaft zu entwickeln, sich in eigenem Tempo auf diese neuen und anfänglich oft beängstigenden Erfahrungen einzulassen. 

Beeinflussen frühkindliche Prägungen später auch die davon Betroffenen bei der Erziehung der eigenen Kinder? Besteht die Gefahr, dass die Muster weitergegeben werden?

Wenn wir die durch frühkindliche Prägungen entstandenen Glaubenssätze nicht erkennen können, dann werden wir sie auch an die nächste Generation weitergeben. Dank der Vielzahl an Erziehungsbüchern, psychologischen Ratgebern und Therapieangeboten, gibt es heute die Möglichkeit, diese Glaubenssätze besser erkennen und somit auch hinterfragen zu können. 

Sind Religionen hilfreich bei der Gestaltung und Gesundung des Ichs? 

Die Religion kann sowohl eine Ressource als auch eine Einschränkung darstellen. Dabei spielt die Haltung, die wir durch die Religion vermittelt bekommen eine bedeutende Rolle. Wenn sie uns vermittelt, dass wir in unserer Essenz liebenswert sind, dann trägt sie zu unserem Wohlergehen und Glück bei. Wenn sie jedoch eine kritische und abwertende Haltung uns selbst oder anderen gegenüber fördert, dann trägt sie zu mehr Leid bei.  

Wie definieren Sie „Glücklichsein“?

Wir sind glücklich, wenn wir uns in eine Richtung bewegen können, die uns der Erfüllung unserer Grundbedürfnisse näher bringt. Wenn wir hingegen den Eindruck haben, dass wir uns gegenwärtig von der Erfüllung unserer Grundbedürfnisse entfernen, erleben wir das Gegenteil von Glück: wir leiden.

Foto: Shutterstock/Ambrozinio